Wehmütiger Blick zurück – Ungewiss nach vorn

Liebe Mitglieder des FPMG, liebe Borussen,

 

eigentlich würden wir heute ab 19:00 Uhr unsere alljährliche Jahreshauptversammlungen in vertrauter Umgebung im FanHaus durchführen. Dabei würden wir über all die Dinge berichten, die uns als aktive Fanszene wichtig sind und mit euch vermutlich über eine coole Saisonabschlussparty sprechen.

 

Wahrscheinlich würden wir auch schon einen ersten Ausblick in die neue (Europapokal) Saison geben. Gerne würde ich mich einfach mal wieder mit Gleichgesinnten treffen, aber die „Leitlinien zur Beschränkung von sozialen Kontakten“ verbieten es, sich heute mit mehr als 2 Menschen zu treffen, die nicht im gleichen Haushalt leben. Bei RB Leipzig mit seiner gewollt (und dafür zurecht kritisiert) überschaubaren Mitgliederzahl könnte so eine Mitgliederversammlung funktionieren, aber nicht bei unserer starken Gemeinschaft leidenschaftlicher Borussen, die mit uns gemeinsam seit über 30 Jahren Borussia leben. 

 

Diese starke Gemeinschaft von Menschen, die die wahre Borussia im Herzen tragen ist der starke Garant der letzten Jahre mit allen Höhen und Tiefen, die das Fanleben zu bieten hat. „…und geht das Spiel einmal verloren, dann macht uns das gar nicht aus, denn dann fahren wir zum Auswärtsspiel und machen einen drauf…“ ist nicht nur eine Textzeile, sondern ein Lebensgefühl, dass sich rund um unsere Borussia seit Ende der 90er Jahren entwickelt hat. „Egal was kommt, wir sind immer da, VFL Borussia“ spricht ebenfalls vielen Tausenden von uns tief aus der Seele. Und nun?

Eine quälende Leere macht sich seit dem 11.03.2020 breit. Nachdem unter fanunwürdigen Bedingungen das Derby gespielt wurde, ruht der Ball. Das gesellschaftliche Leben und somit die Kultur unserer Fangemeinschaft steckt in einer Zeitschleife fest. Doch im Gegensatz zum Murmeltiertag verstreichen die Tage Lebenszeit ohne ihren borussiadominierten Lebensinhalt. Aus der emotionalen Brille betrachtet bringt dieser Stillstand im Fußball und die dadurch entstandene Diskussion über die Fortsetzung der Saison schonungslos zum Vorschein: Der Fußball hat seine Seele gnadenlos verkauft. Die gestiegenen Umsätze der Vereine in den letzten Jahren führten nicht dazu, dass Vereine Reserven bilden können, sondern höhere Ausgaben müssen durch höhere Einnahmen ausgeglichen werden. Die unerbittliche Spirale drehte sich immer weiter.

Doch diese Blase ist nun geplatzt. Somit ist nun das passiert, was sich viele Fanaktivisten gewünscht haben: Dem Streben nach immer mehr Geld im Fußball wird plötzlich Einhalt geboten. Dabei ist es nicht die Wettmafia, nicht die nachgewiesene Korruption im Weltfußball, kein Dopingskandal, was die Fußballwelt ins Wanken bringt. Es ist der Virus Covid 19. 

 

Als Nichtmediziner und aufgeklärten Bürger in einem demokratischen Land erzeugen die breit gefächerten Informationen über Covid 19 ein einfaches Bild: Erst wenn rund 80% der Bevölkerung dem Virus infiziert wurden, stellt sich eine natürliche Ansteckungsquote ein, mit der unser Gesundheitssystem klar kommt. Ein Impfstoff könnte hier die Immunisierung beschleunigen. Bis dahin muss die Ansteckungsgefahr reguliert werden mit dem Ziel immer nur so viele Schwererkrankte zuzulassen, für die alle notwendige medizinische Versorgung sichergestellt werden kann. Sicher keine leichte Aufgabe hier immer das gesunde Maß zwischen Einschränkungen und Lockerungen zu finden… Vor dieser medizinischen und politischen Herausforderung sollten wir alle den nötigen Respekt und die nötige Solidarisierung entgegenbringen. Die Perspektive auf volle Fußballstadien ist aber in diesem Bild mit Sicherheit ganz weit weg.

Die letzten Wochen haben gezeigt: Unser Land im Stillstand bedeutet nicht nur für den Fußball das Ende der Konsumspirale, sondern für vieles andere auch. Über Jahr haben wir unseren Wohlstand aus der Konjunktur-Maschinerie erwirtschaftet. Und hier gibt es gerade eine seit dem Kriegsende 1945 noch nie da gewesene Vollbremsung. Den volkswirtschaftlichen Schaden kann wahrscheinlich noch keiner so wirklich absehen. Es lässt sich nur vermuten, dass die Welt vor dem Virus eine andere war, als die Welt, die uns nach dem Virus erwartet. Und damit sind wir wieder bei unserem geliebten Fußball. Die Werbeetats der Firmen werden diese Vollbremsung nicht unbeschadet überstehen. Damit sinken die Sponsoren-Einnahmen der Fußballclubs. Da der Grundsatz 50+1 für unsere Fanleidenschaft unverrückbar ist, bleiben den Vereinen bei selbst bei geringeren Ausgaben aufgrund der Gehaltsverzichts bei ausbleibenden Zuschauereinnahmen nur noch die Gelder aus der Fernsehvermarktung. Und wenn diese ausbleiben geht es ans „Eingemachte“. Aber wenn der Keller leer ist, wird es düster. Denn auch Die Transfersummen werden auf einen Bruchteil der Einnahmemöglichkeiten vor dem Virus in sich zusammenbrechen.…

 

Das Fanherz blutet, wenn die Diskussion über Fußballspiele ohne Zuschauer geführt wird. Die Vereine benötigen aber Einnahmen aus den verkauften Übertragungsrechten um „flüssig“ zu bleiben um die laufenden Rechnungen und Löhne zahlen zu können… Hier gibt es keinen Kompromiss. Kein grün, sondern nur schwarz oder weiß. Entweder gar kein Fußball oder Fußball ohne Zuschauer. Eine einfache Formel, verursacht allein nur aus der verkauften Seele…

 

Unsere Idee der Pappkameraden aus der Aktion „seidabei-trotzdem“ kann und wird unsere Leidenschaft und das Stadionerlebnis nie ersetzen. Sie sind vielmehr ein Mahnmal, wohin die Gier nach Geld den Fußball gebracht hat. Sich mit Geisterspiele zu arrangieren und dies zur „erleben Normalität“ werden zu lassen, dürfen wir als Vertreter der aktiven Fanszene nie zulassen. Das Aussperren auf Zeit löst Ängste aus, dass möglicherweise das „Geschäftsmodell Fußball“ auch ohne Fans funktionieren könnte und sich daher der Fußball durch die Krise in eine Richtung entwickelt, bei dem die Vereine künftig ohne Rücksicht auf Faninteressen ihren Weg gehen. Auf Grund des bisherigen langen gemeinsamen Weges durch Dick und Dünn mit den Verantwortlichen von Borussia habe ich hohes Vertrauen, dass bei uns die Faninteressen trotz der besonderen Situation nicht leiden werden.

Mit unserer Leidenschaft für Borussia haben wir uns schon immer in die Abhängigkeit von Borussia begeben. Ohne Borussia gäbe es uns nicht und wenn es Borussia und der Ligabetrieb nicht mehr in der Form gibt, wie wir sie heute kennen, wie geht es denn weiter? Wenn Teile des Profi-Fußballs Pleite gehen, verändert sich umfangreich die Landschaft der Fußballclubs. Überleben die Krise genug Mannschaften, um in den ersten drei deutschen Ligen Profifußball zu spielen? Kann in den nächsten Monaten überhaupt noch ein geregelter Wettbewerb stattfinden? Diese Fragen kann heute keiner beantworten, da die Zukunft noch nie so ungewiss war, wie heute. Daher hat die Medaille Geisterspiele zwei Seiten. Als aktive Fanszene müssen wir sie emotional konsequent ablehnen, aber wenn sie das Überleben des Fußballs und somit das Überleben eines Ligabetriebes für unsere Borussia bedeutet, sagt der Verstand natürlich etwas anderes.

Bei all den wirtschaftlichen Interessen zum Erhalt des Ligabetriebes zum Trotz, dürfen jedoch die Risiken aus dem Covid-19 Virus für die Gesamtbevölkerung dadurch nicht größer werden. „Egal was kommt, wir sind immer da – VfL Borussia“ klingt für die Welt nach dem Virus nach Freiheit, Gemeinschaft und Leidenschaft im Stadion. In den nächsten Wochen allerdings stehen stellvertretend unsere Doppelgänger als Mahnwache für unsere Faninteressen im Stadion. Sollte sich die Politik durchringen und den Fußball unter Ausschluss von Zuschauern wieder erlauben, müssen wir mit Verstand darauf reagieren.

Für Borussia da zu sein, auch wenn wir nicht in ihrer Nähe sein dürfen, verlangt viel von uns. Auf dem Spiel steht aber möglicherweise mehr als wir es uns bisher vorstellen konnten. Daher ist eine Duldung der Geisterspiele aus Fansicht nur möglich, wenn im Gegenzug ein klares Versprechen der Vereine einhergeht, ihre wirtschaftliche Not nun nicht zum Anlass zu nehmen, den Fußball mit weiteren Finanzierungsmöglichkeiten aus der Misere zu retten, ohne hierbei die Belange der Stadiongänger zu beachten. Weiterhin muss jetzt die Zukunft des Fußballs gemeinsam mit uns Fans diskutiert und gestaltet werden. Nach der Corona- Krise wird die Welt anders aussehen, daher bietet sich jetzt die Chance zur Veränderung der “Geldmaschine” Fußball zu einem sportlichen Wettbewerb.

 

Thomas Ludwig

1. Vorsitzender FPMG und Mitglied im Ehrenrat bei Borussia