Vor gut fünf Wochen endete die letzte Bundesligasaison. Viele von uns gingen nach dem Darmstadt-Spiel verärgert und frustriert aus dem BORUSSIA-PARK, hatten die Schnauze voll vom Fußball im Allgemeinen und von Borussia im Speziellen.
Borussias ehemalige Manager Rolf Rüssmann hatte vor einigen Jahren - vermutlich beiläufig - mal einen Satz fallen gelassen: „Das Gute am Fußball ist: in der neuen Saison beginnt alles wieder bei Null“. Genau so müssen wir alle auch wieder in die neue Saison starten. Allerdings ist eine Erkenntnis aus der abgelaufenen Saison sehr wichtig, die wir mitnehmen müssen. Daher nun ein letzter Blick zurück. Am Saisonende stand ja bei einem Treffen der Fanvertreter (FPMG, De Kull und die Fanbeauftragten) mit Borussia die Frage im Raum: Warum hat die Saison auch fantechnisch so einen bescheidenen Ausklang gehabt. Wieso hat sich bei uns Fans so eine Enttäuschung breitgemacht? Eigentlich sprachen die sportlichen Argumente dagegen: Die zweitbeste Rückrunde der letzten Jahre hat uns frühzeitig den Kampf gegen den Abstieg erspart. Die internationalen Spiele waren ein Geschenk und keine Selbstverständlichkeit. Im Pokalhalbfinale auszuscheiden ist tragisch, aber im Elfmeterschießen spielt halt auch Glück eine Rolle. Alle diese Aussagen konnten ausgiebig in den Schlagzeilen kurz nach der Saison gelesen werden. Mit ein wenig Abstand denke ich: in jeder anderen Saison hätten diese Ereignisse auch zu anderen und positiveren Gefühlsregungen geführt. Aber in der abgelaufenen Saison hat ein anderer Effekt das nüchterne sportliche Ergebnis überlagert. Aus meiner Sicht ist mit dem Ende der Saison 2016/17 eine kleine Ära zu Ende gegangen.
Hierzu ein paar erklärende Worte: In meiner Wahrnehmung hat sich bei Borussia im Laufe der Zeit immer wieder ein Kreis geschlossen, der einen Abschnitt in der Vereinsgeschichte abgebildet hat. Passenderweise zufällig immer mal wieder gegen den gleichen Gegner. So begann unsere „Mythos-Tour“ 1999 in der 2. Liga gegen den Chemnitzer FC und endete eine Saison später gegen ebendiesen. Interessanterweise spielten wir 2007 gegen den VfL Bochum unser letztes Bundesligaspiel vor dem Abstieg und retteten uns 2011 gegen Bochum in der Relegation. 2013 starteten wir im DFB Pokal gegen Darmstadt und schieden bereits in der ersten Runde aus, Hrgota verlupfte sich bekanntermaßen. Und nun das tragische Ende der abgelaufenen Saison mit dem Pokalaus, in dem Hrgota den entscheidenden Elfmeter für die Eintracht traf und das letzte BL-Spiel gegen Darmstadt stattfand.
Geprägt wurde der jüngste Abschnitt der Vereinsgeschichte ab der Saison 2013/14 vom Aufbau einer neuen Borussia unter Lucien Favre. Nach der erfolgreichen Vorsaison mussten die Abgänge von Reus, Dante und Neustädter oder, wie es Favre mit Barca verglich, „Messi, Pique und Xavi...“ verkraftet und auch diesmal wieder bei „Null“ begonnen werden. Und das hat wunderbar geklappt! Der 3. Platz in der Saison 2014/15 mit der erstmaligen Teilnahme an der Champions League in der Folgesaison hievte uns in eine Qualitätsstufe, die keiner so für möglich gehalten hätte. Sogar die letzte Bastion von „Da gewinnen wir in hundert Jahren nicht“ mit Bremen wurde eingenommen.
Leider ist die berühmte „Nachhaltigkeit“ im Fußball nur sehr schwer für Vereine wie Borussia zu realisieren. Dafür ist der Fußball ein fragiles System mit unglaublich vielen Einflussfaktoren. Und dieses System benötigt Energie und starken Antrieb, entweder durch viel Geld, charakterstarke Führungsspieler oder „verrückte“ Trainer. Geld in diesen Dimensionen hatten wir noch nie, im September 2015 haben wir den „verrückten“ Trainer verloren, und in der letzten Saison die Führungsspieler. Somit war gefühlt in der abgelaufenen Saison die letzte Möglichkeit, mit dem was 2013 begonnen wurde, etwas „Großes“ zu erreichen. Dabei ist „was Großes“ nicht zwingend nur ein Titel. Das Pokalfinale wäre für uns etwas Vergleichbares wie die spanische Treppe in Rom gewesen. Mit Tausenden gemeinsam das Ereignis „Pokalfinale“ zu zelebrieren, eine riesen Party in der Hauptstadt abzufeiern und mit ein bisschen Glück vielleicht eine Chance auf den Sieg. Aber das ist mittlerweile Geschichte.
Die Enttäuschung in der letzten Saison ist also dadurch so groß gewesen, weil viele von uns befürchteten, dass etwas zu Ende geht. Daher haben wir gehofft, dass es doch noch zumindest für Berlin reicht. Ob sich nun also ein Kreis schließt oder gar ein neuer Kreis mit jungen Spielern beginnt, wird die neue Saison zeigen. Die Enttäuschung jedoch zeigt, wie realistisch wir nach wie vor einschätzen können, was Borussia leisten kann. Die Rahmenbedingungen, in denen wir uns bewegen wollen (ohne Anteilsverkäufe und Geldgeber von außen, die mitbestimmen), werden jedoch leider nicht besser. Ich betone bewusst die Worte „bewegen wollen“, denn der einzigartige Weg von Borussia macht uns sehr stolz. Daher wurde die Enttäuschung natürlich auch dadurch befeuert, dass die Entwicklung im Fußball im Allgemeinen eine Richtung eingeschlagen hat, die auf uns ungerecht wirkt.
Wir haben uns alles seit 1999 hart erarbeitet, und andere (Modell Hoffenheim, Projekt Leipzig) sind aber nun unter den ersten vier. Bayern wird vermutlich die nächsten 20 Jahre Meister, in der CL werden in den nächsten Jahren weiterhin die gleichen Vereine dominieren. Wir sind vielleicht international mal ein nettes Beiwerk mit Tradition, mehr aber nicht. Damit muss man erst mal zurechtkommen… Die Fans anderer Traditionsvereine wie Schalke, der HSV, Stuttgart oder Bremen übrigens auch.
Aber blicken wir wieder auf unsere Borussia: Die Grundausrichtung des Vereines nun in Frage zu stellen und doch den Scheich aus Nahost als Geldspritze zu nutzen, ist keine Option für uns. Daher bleiben innovative Ideen und kreative Nischen, um ein paar Zusatzeinnahmen zu generieren. Der Telekomcup gehört im Übrigen auch dazu. Den muss man in seinem sportlichen Wert nicht mögen. Aber wenn die Kohle stimmt… Hier beginnt natürlich der Grenzbereich an Dingen, die man nicht überstrapazieren darf, um die leidenschaftlichen Fans nicht zu verlieren. In der letzten Saison wurde die eine oder andere Aktion seitens Borussia kritisch beäugt. Die Sorgen der Fans, dass der Fußball nur noch Mittel zum Zweck ist, um Geschäfte zu machen, führt dazu, dass man sensibler die Dinge betrachtet. Hier einige Beispiele von Themen, die kontrovers innerhalb der Fanszene diskutiert wurden: Social Media gehört inzwischen zur Außendarstellung eines Vereins dazu und ist wichtig, um den Namen Borussia ständig präsent zu halten. Aber muss ausgerechnet nach dem EL-Aus gegen Schalke am nächsten Tag auf Facebook „St. Patrick’s Day“ mit einem fröhlichen Patrik Hermann zelebriert werden? Hitzig wurde im letzten Herbst darüber diskutiert, dass „WIR Borussia sind“ und nicht irgendein „German Team“. In den Schlagzeilen finden wir immer wieder was vom „familienfreundlichsten Verein“ der Bundesliga. Aber was machen wir hier so Besonderes? Ist es nicht wertvoller, der fanfreundlichste Verein zu sein? Vielleicht sind wir es ja sogar?
Wie auch immer, „Entscheidend ist auf dem Platz“ ist doch die Kernbotschaft im Fußball, und alles andere Drumherum darf nicht zur Hauptattraktion werden. In der großen Welt des Fußballs scheint man jedoch andere Pläne zu haben: Pokalfinale in Shanghai, Chinesen in der Regionalliga Südwest, Regeländerungen mit fester Spielzeit von 60min, damit bei jeder Spielunterbrechung Werbung gezeigt werden kann… Was kommt sonst noch? Korruption, Steuerhinterziehung, Wettbetrug hatten wir ja schon…
Daher formieren sich Teile der Fans zu einem Krieg. Der Gegner heißt DFB, aber ist nur das Synonym gegen alles Schlechte im Fußball. Begonnen hat der Krieg mit dem Aufmarsch der Dresdner in Karlsruhe. Fortgesetzt wurde er im Pokalfinale, und in der Sommerpause werden weitere Schlachtpläne ausgebrütet. Der Anlass des Krieges ist ein nicht befriedeter Konflikt, der vor einigen Jahren in der DFB-Zentrale begann. Dort wurden Vertretern der Ultraszenen Hoffnungen gemacht, Pyrotechnik in den Stadien unter gewissen Voraussetzungen zu erlauben. Diese Gespräche wurden allerdings unter fadenscheinigen Begründungen wieder abgebrochen und nie ernsthaft wieder aufgenommen und fortgesetzt. Stattdessen wurde eine Spirale von Pyrotechnik zünden und Geldstrafen zahlen in Gang gesetzt, die sich scheinbar nicht mehr aufhalten lässt. Doch bei einem Krieg gibt es keinen Gewinner, sondern nur Verlierer. Daher sage ich ehrlich: Ich habe keinen Bock darauf, dass die Fankurven in unserer Republik in der neuen Saison an jedem Wochenende zu Kriegsschauplätze werden, und der Fußball auf dem Platz aus diesem Grund zur Nebensache wird. Auf Pyro-Aktionen, Anti-Plakate und -gesänge folgen weitere Geldstrafen, Fanausschlüsse und Geisterspiele. Darauf wird mit Protesten und Gewalt reagiert. Die Politik schaltet sich ein, erlässt unnötige Richtlinien und schränkt die Vereine in ihren Freiheiten ein, auch die des familienfreundlichsten… Dann haben alle verloren. Das kann doch nicht das Ziel sein. So kann es nicht weitergehen. Dieser Krieg muss verhindert werden. Also DFB: Setze Dich wieder mit ernsthafter Dialogbereitschaft mit den Fanvertretern an einen Tisch!
Aber auch wir Fans müssen zeigen, dass Gewalt kein Bestand unserer Fankultur ist. Unser Borussia-Kodex spricht hier eine eindeutige Sprache. Dieser ist auch die Überleitung zum letzten Thema, welches in der Sommerpause wieder auf „Null“ gesetzt werden muss: Die Anfeindungen untereinander in den letzten Spieltagen sind ganz und gar nicht mit unserem Borussen-Kodex vereinbar. Es ist müßig zu diskutieren, was letztendlich neben der eingangs beschriebenen Grundstimmung einer unvollendeten Saison alles zu den Streitigkeiten in der Nordkurve geführt hat. Hier gilt nur der Blick nach vorne! Gemeinsam sind wir stark. Das ist das einzige Motto, was hier zählt. Einige der alteingesessenen Fans aus der „Bökelberggeneration“ müssen sich hier ebenso hinterfragen, ob es nicht zu einfach ist, ihren Unmut über das Wegbrechen der guten alten Zeit unreflektiert auf die junge Generation im Stadion abzuladen. Genauso müssen einige der „Jungen“ lernen, unserer traditionellen Fanszene mit Respekt zu begegnen. Das FPMG sieht es daher als wichtige Aufgabe in den nächsten Wochen an, gemeinsam mit euch einen Blick auf den Borussen-Kodex zu werfen und die Streitigkeiten dadurch schnell beizulegen. Unter dem Titel Borussen-Kodex 2.0 werden wir hierzu in Kürze einladen. Ihr seid alle eingeladen, hier mitzuwirken.
So, das waren die Worte zur Sommerpause. In ein paar Wochen geht es wieder los. Mit dem Pokal gegen Rot-Weiß Essen. Für viele ein Wunschlos. Mehr Tradition zum Saisonauftakt geht nicht. Selbstverständlich geben wir unserer neuen blutjungen Borussia wieder die volle Unterstützung!
Thomas Ludwig