Erklär’ mir den Fußball: Heute Polen

Geschrieben von Börnie   
Donnerstag, 14. Juni 2012

Wie immer bietet die Pause eine willkommene Gelegenheit mal auf die Sportplätze in anderen Ländern zu schauen. Und was eignet sich bei der Europameisterschaft besser, als auf die Liga und die Nationalmannschaft eines der beiden Gastgeberländer zu blicken, also habe ich ein wenig recherchiert und versuche mich heute an der Situation des Fußballs in Polen.

Sicher gibt es eine Reihe von Groundhoppern und regelmäßigen Polenfahrern, die tiefere Einblicke in die Situation des Landes haben, daher versuche ich mich hier an die öffentlich zugängigen Fakten zu halten und nicht an Spekulationen zu beteiligen.

In der höchsten polnischen Liga, der T-Mobile Ekstraklasa, haben in der abgelaufenen Spielzeit 16 Teams um Meisterschaft, europäische Startplätze und gegen den Abstieg gespielt. Dabei wurde Slask Wroclaw zum zweiten Mal nach 1977 polnischer Meister und startet somit in der CL-Qualifikation. Das Team aus dem EM-Spielort Breslau setzte sich am letzten Spieltag mit 1:0 beim Vorjahres-Meister Wisla Krakau durch. In der Abschlusstabelle hatte Wroclaw am Ende einen Punkt Vorsprung vor Ruch Chorzow, die damit Europa-League spielen. Als dritter hat sich Legia Warschau ebenfalls für die EL qualifiziert, abgestiegen sind LKS Lodz und Cracovia Krakau.
Ruch Chorzow ist mit 14 Titeln auch einer der beiden Rekordmeister, Gornik Zabrze ist der andere, aber seit 1989 hat keiner der beiden mehr einen Titel gewinnen können, also auch im polnischen Fußball hat es eine Wende zu der Zeit gegeben.

Die polnische Nationalmannschaft hatte ihre erfolgreichste Zeit in den 70er Jahren und wurde 1972 in München Olympiasieger. Konnte man sich lange Zeit nicht für die Weltmeisterschaft qualifizieren, so haben viele von uns noch die WM von 74 in Erinnerung, und sei es auch nur, weil die Wasserschlacht von Frankfurt gegen Deutschland in jedem Vorbericht zu einem großen Turnier erwähnt wird. Sie scheiterte nach 90-minütigen Anrennen auf das deutsche Tor vor allem an einem Weltklasse-Torhüter namens Sepp Maier mit 0:1, das Spiel um den dritten Platz gewannen die Polen gegen den Weltmeister von 1970 Brasilien mit 1:0.

Diese Platzierung konnte 1982 in Spanien nochmals wiederholt werden, und der Name „Zibi“ Boniek dürfte den meisten Fußballinteressierten aus dieser Zeit ein Begriff sein. Im Anschluss an diese Turnier wechselte er nach Italien und wurde zu einem der größten Stars des polnischen Fußballs.
In Mexiko 1986 reichte es dann noch für das Achtelfinale, dann konnte man sich erst wieder für die Weltmeisterschaften 2002 und 2006 qualifizieren, in Südafrika vor zwei Jahren war das Team erst gar nicht vertreten.

Die Bilanz bei Europameisterschaften sieht leider noch ernüchternder aus, nach 1960 konnte man sich erst für 2008 qualifizieren, wo man auch auf Deutschland traf und nach der Vorrunde wieder nach Hause reisen musste. Viel Arbeit also für die Verantwortlichen für das Turnier im eigenen Land eine schlagkräftige Truppe auf die Beine zu stellen, wenn man zwei Jahre lang nur Freundschaftsspiele hat. Allerdings verliefen diese ganz erfolgreich, unter anderem mit einem 2:1 Sieg gegen Argentinien, einem 2:2 gegen Deutschland und einem 0:0 gegen Portugal im Februar.

Im aktuellen Kader der Weiß-Roten stehen auch einige Spieler, die man aus der Bundesliga ganz gut kennt: Sebastian Bönisch (Bremen), Lukas Piszczek, Jakob Blaszczykowski, Robert Lewandowski (alle Dortmund), Artur Sobiech (Hannover) Adam Matuszczyk (Düsseldorf) und der ehemalige Gladbacher Eugen Polanski (Mainz). Aber auch Spieler aus internationalen Ligen wie England, Niederlande, Frankreich, Belgien, der Türkei, Russland und Schottland sind im Aufgebot, also alles andere als unerfahrene Spieler, man darf gespannt sein, was mit dem Heimvorteil so alles möglich ist bei dem Turnier.

Auch unsere Borussia hat neben Eugen Polanski schon so ein paar Erfahrungen mit polnischen Spielern und Mannschaften gemacht. Andrzej Juskowiak (96 bis 98) haben die meisten von uns noch über den Bökelberg laufen sehen, und auch beim Sieg in Arsenals Heimstätte Highbury war er als Torschütze erfolgreich. Ein weiterer Speiler der jüngeren Vergangenheit war Marcin Mieciel, der es in 18 Spielen aber nur zu zwei Treffern brachte, seine beste Zeit hatte er anschließend in Griechenland. Darius Kampa ist übrigens ebenfalls in Polen geboren und besitzt beide Staatsbürgerschaften, aktiv war er aber nur für die deutsche U21 und Olympiaauswahl.

Zu einem Aufeinandertreffen im UEFA-Pokal kam es 1984 gegen Widzew Lodz. Nach dem Rückspiel in Lodz lag so dichter Nebel über dem Flughafen, dass die Mannschaft nicht abreisen konnte und das Bundesligaspiel gegen Bayern München ausfallen musste. Als es dann nachgeholt wurde, war es das erste Bundesligaspiel, welches über 90 Minuten komplett im Fernsehen zu sehen war, heute unvorstellbar.

Das alles kann aber nur ein ganz kleinen Ausschnitt des Fußballs in Polen sein, sozusagen das Basiswissen für den EM-Reisenden. Viel mehr über Land und Leute, über die Fans, die Situation im Land und in den Stadien lässt sich natürlich direkt vor Ort erfahren, und neben Wodka wird dort auch Bier getrunken, so dass sich bestimmt die Möglichkeit ergibt, sich mit Einheimischen auszutauschen und wieder etwas zur Völkerverständigung beizutragen. Allen EM-Fahrern wünschen wir daher viel Spaß und viel Erfolg und nehmt die kleinen Problemchen mit Humor, denn den werden wir auch brauchen, wenn es für den Rest im August dann auf geht nach Europa.