Das Ende des Fußballzaubers?

Gut, wenn Deutschland heute Abend gegen Brasilien ausscheidet, ist der ganze Fähnchen-, Girlanden- und Blumenketten-Hokuspokus vorbei. Dann entschmückt Vati sein Auto, Mutti hängt die Wimpelkette vom Balkon ab und die Generation Lukas und Laura schminkt sich die Deutschland-Fahne von der Wange ab. Die Party wäre vorbei. und die Siegessäule in Berlin wäre nur noch umzingelt von den Kehrmaschinen der Stadtreinigung, was vielleicht auch ein Anblick mit hohem ästhetischen Potential wäre.

 

Die Lukasse und Lauras gingen wieder in ihre Büros, Werkstätten oder Hörsäle, das Thema Fußball hätte sich dann für sie erledigt. Mutti freute sich, dass sie jetzt Sonntagabend wieder Rosemarie Pilcher gucken kann, und Vati konzentrierte sich auf die kommende Bundesliga-Saison.

 

Es war ja halt nur eine Party, vom wahren Zauber des Spiels wurde die Feiermasse sowieso nicht berührt, jetzt eben wieder Alltag. In vier Jahren geht es ja weiter. Wenn Lukas und Laura dann nicht mittlerweile einen kleinen Leo und/oder eine kleine Mia in die Welt gesetzt haben, können sie wieder mit feiern.

 

Halt! Erst muss Deutschland sich qualifizieren… Aber das wird die breite Masse gar nicht wissen. Oder interessieren. Qualifikationsspiele haben kein Partypotential und sind deswegen viel uninteressanter. Mutti guckt dann lieber direkt Rosamunde Pilcher, und Laura lackiert sich doch nicht nur für ein Spiel die Fingernägel schwarzrotgold…

 

Nun ja, trotzdem hoffen wir natürlich alle auf einen Finaleinzug der Deutschen, auch wenn dann der Party-Wahnsinn einen vermutlich noch nicht gekannten Höhepunkt erreicht. Schade nur, dass auch die Fußballzauberei auf dem Rasen ein wenig zu wünschen übrig lässt. Vor vier Jahren faszinierte das präzise Kurzpassspiel den Fußballfan, wieselflinke Ballstafetten und Doppelpassorgien sorgten für schöne Tore. 2014 dominiert nicht mehr die Kunst, sondern das Handwerk das Geschehen auf dem Rasen. Vielleicht ist das eine ganz normale Wellenbewegung eines Trends? Dominiert eine Zeit lang der filigrane Angriffsfußball die Szenerie, dann folgt als Reaktion darauf der handfeste Verteidigungsfußball.

 

Die Erwartung, man würde bei einer Weltmeisterschaft die besten Mannschaften (Richtig!) mit den besten Spielern (Richtig!) sehen, die auch den besten Fußball spielen (Falsch!), wurde leider ein wenig enttäuscht. Spannend sind die Spiele allemal, bis zum Schluss, mit Verlängerung und oft genug mit Elfmeterschießen, aber mit wirklicher Ballzauberei hat das nichts zu tun. Das ist ein wenig schade. (Aber gemerkt hat das bis jetzt nur Vati. Mutti, Lukas und Laura sind viel zu sehr mit Feiern und Singen und Schunkeln beschäftigt, als dass sie auf die Feinheiten des Spiels achten könnten.)

 

Lasst uns ungeachtet der Party-People dem deutschen Team die Daumen drücken. Es geht ja um unseren Sport, um Fußball. Ob das Mutti, Vati, Lukas und Laura kapieren, kann uns ja eigentlich herzlich egal sein. Einfach ignorieren, das Selbstmitleid über die „gute, alte Zeit“, als Fußball noch eine gesellschaftliche Randsportart war, überwinden und am besten auch den aktuellen, etwas rumpligen Fußball tolerieren. Dann wird das schon heute Abend…